das Logbuch Wien - Nizza | August 2012
31.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
heute war schon wieder ein Abschied angesagt, die beiden letzten Tage war ich mit Lisa, Pedi und Ruth unterwegs. Auf der Alpe Brüc haben wir uns getroffen und uns gestern gemeinsam durch Regen und Nebel nach Rima gekämpft. Eine Erfahrung, die verbindet :-)
Heute ging es bei Sonnenschein von Rima 1416m über den Colle del Mud 2324m nach Pedemonte 1246m- die älteste Walsersiedlung im Valle Sesia. Lisa hat dort im Hotel Montagna di Luce, in einem typischen und sehr gemütlichen Walserhaus ein Zimmer für uns reserviert. Schweren Herzens habe ich mich aber entschieden bis zum Refugio Sant'Antonio ins Valle Vogne weiterzugehen, weil der für den Abend angekündigte Regen ausblieb und die morgige Wegstrecke mit 7,5 Std und etlichen Höhenmetern über 3 Pässe ziemlich lang und anstrengend wird.
Am Weg habe ich auch Jean-Paul wieder getroffen und im Ref. zwei weitere Deutsche- Wolfgang und Detlef, die ebenfalls am GTA unterwegs sind. Die "große Masse" an Wanderern wird mit jedem Tag merklich kleiner, weil für die meisten der Urlaub zu Ende geht.
Für die nächsten Tage ist kühles, regnerisches Wetter angekündigt, mal schauen wie's wirklich wird.
Das Walsermuseum in Pedemonte hat mich sehr beeindruckt, weil diese Häuser wie kleine Produktionseinheiten angelegt waren, von der eigenen Backstube, Käserei, Weberei bis hin zur Vorratskammer und Werkstatt hat so ein traditionelles Walserhaus
sämtliche lebensnotwendigen Grundlagen in sich beherbergt. In so einem Haus würde ich gerne leben, gemeinsam mit einer großen Wahlfamilie, Simon könnte dort mit seinen Broten experimentieren, Jakob in der Werkstatt Holzgegenstände herstellen, am Dachboden könnte es einen Raum für Yoga geben...Und jetzt muss ich ins Bett zum weiterträumen :-)
Gute Nacht!
Barbara [Standort]
Guten Morgen!
Gestern den ganzen Tag im Starkregen und Nebel von Carcofero über den Termopass nach Rima gewandert und glücklicherweise ein Albergo mit Trockenraum und Sauna :-) gefunden!
Heute scheint wieder die Sonne und trocknet vielleicht auch die immer noch nassen Schuhe... und jetzt geht's nach Alagna...
Schönen Tag wünsch ich euch!
Barbara [Standort]
29.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
wunderschöner Weg heute, kaum Empfang die letzten Tage, deshalb gab's keine Standortbestimmung von mir.
Heute Früh im Albergo Baranca (eine kleine Almhütte hoch oben in den Bergen mit selbstgemachtem fantastischem Käse, einer überaus herzlichen Hüttenbewirtung und gestern Abend einem richtig üppigen Abendessen) haben sich Simon und Jakob vorzeitig verabschiedet und sind nach S. Maria abgestiegen, um ihre Heimreise nach OÖ anzutreten. Simon hat sich verkühlt und es wurde die letzten Tage immer schlimmer, außerdem war für heute und morgen Regen angesagt, also haben sich die beiden so entschieden...
Ich war richtig traurig danach, weil die beiden so angenehme, rücksichtsvolle, liebenswerte und vor allem sehr inspirierende Weggefährten waren... und so übe ich Abschiednehmen, am Laufmeter :-) für mich mit einer Kindheit, die von sehr traumatischen Verlusterfahrungen von Geborgen- und Zugehörigkeit geprägt war, eine wirkliche Herausforderung, aus der ich aber viel lerne. Vor allem, dass die Geborgenheit in mir ist und Verbundenheit nicht an einzelne Menschen gebunden ist, sondern ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, dass auf vielfältige Weise erfahrbar ist.
Kaum waren Simon und Jakob weg, haben sich Ulli und Paul aus Donaueschingen zu mir gesellt und wir haben ein Stück Weg und vor allem einen Gipfel- den Il Cimone 2454m- miteinander geteilt. Hat mich sehr gefreut, denn im Tessin mit den vielen Hm Auf- und Abstiegen, sind die Gipfelbesteigungen etwas kurz gekommen.
Im Moment bin ich auf alten Walser Wegen unterwegs, die Walser waren deutschsprachige Bauern und Hirten, die sich im Hochmittelalter, wo das Klima in den Alpen noch wesentlich milder war, als heute, in höher gelegenen Almregionen angesiedelt haben. U.a. in Graubünden, Liechtenstein, Vorarlber und im Piemont. Die Grundherren von damals, hatten großes Interesse an der Bewirtschaftung neuen Kulturlandes, zur Festigung ihrer Territorien. Mit der Gründung des italenischen Staates 1861, wurde dem Walsertum arg zugesetzt, durch Schließung der Grenzen zur Schweiz, während der beiden Weltkriege, wurde der rege Austausch über die Pässe mit Verwandten und Freunden unterbunden und die Industrialisierung löste eine große Landwirtschaftskrise aus, wodurch es zu einer zunehmenden Abwanderung kam.
Seit Campello Monti wandere ich auf den Spuren und Hinterlassenschaften der einstmals durchaus wohlhabenden Walser, wo die Männer im Sommer auf Saisonarbeit in die Schweiz fuhren (als Krämer, Steinhauer, Gipser und Maurer- das Luzerner Rathaus, der Spiesshof in Basel und der Stockalperpalast in Brig, alles von Walser Männern gebaut), während die Frauen zu Hause "Kind und Hof alleine geschupft" haben.
Jetzt ist der Rest meiner Nachricht an euch, einmal mehr abgestürzt, sehr ärgerlich, deshalb schicke ich euch mal diesen Teil, bevor sich dieser ebenfalls verabschiedet... [Standort]
Fortsetung:
Diese bäuerliche Kultur ist leider fast vollständig ausgelöscht. Umso mehr berührt es mich, wenn so wie gestern, am Weg zwischen Rimella und S. Maria in einem kleinen Gebirgsdorf namens Rees, eine Familie mit der Einbringung der Heuernte beschäftigt ist, alles in Handarbeit und ohne Hilfe von Maschinen, genau so wie heute Früh, wo der Senner auf der Alpe Baranca seine Kühe mit der Hand gemolken hat und wir die frisch gemachte Butter und den selbstgemachten Käse zum Frühstück bekommen haben.
Am Weg zum Colle d'Egua ist mir ein Hirte auf einem Haflinger reitend, ohne Sattel und Zaumzeug, begegnet, im Schlepptau ein Maultier, hat er sein Pferd alleine mit der Stimme durch die gebirgige Landschaft gelenkt. Weiter oben graste eine Herde von Pferden, die wunderbar anzusehen waren, in ihrer Freiheit.
Die Landschaft hier ist fantastisch in ihrer wilden Schönheit, mit vielen Schafen und Kühen heute, die uns Wanderer mit großen, etwas skeptischen Blicken begleiten.
Heute gibt es Wildschweinbraten, habe ich eben vernommen, er bruzelt am Holzofen vor sich hin und erfüllt den Raum mit einem würzig-harzigem Geruch.
Der wiederkehrende Rythmus von aufbrechen, ankommen, verweilen und mit köstlicher piemontesischer Hausmannskost und italenischer Herzlichkeit verwöhnt werden hat etwas sehr beglückendes und nährendes. Genau so wie die wechselnden kürzeren oder längeren Begegnungen unterwegs oder in den jeweiligen Unterkünften. Heute sind wir hier in dem wirklich gemütlichen Ref. Brüc, kurz vor Carcoforo zu sechst, neben Paul und Ulli noch drei sehr sympathische Frauen.
Der Weg heute und vor allem der Gipfel des Il Cimone hat uns ganz nahe, fantastische Blicke zum Monte Rosa Massiv ermöglicht und durch eine wunderschöne Landschaft geführt, bei strahlendem Sonnenschein, ganz entgegen des angekündigten Schlechtwetters, dass erst nach unserer Ankunft im gemütlichen Refugio, in Form eines kurzen Gewitters und Regens einsetzte.
Im Moment führt der Weg durch den "Parco Naturale Alta Valsesia" und morgen geht es von Carcoforo über den Colle del Termo 2351m nach Rima ins Val Sermenza und von dort bereits nach Alagna, ins Herz des Valsesia. Es liegen noch 50 Tagesetappen vor mir, wenn ich jeden Tag, ohne Unterbrechung gehe, dann könnte ich am 20. Oktober am Mittelmeer sein...
Am 4. September bin ich bereits 4 Monate unterwegs.
Mit herzlichen Grüßen
eure unermüdliche Geherin
28.08.2012
Bochetta di Rimella, unglaublicher Blick zum schnee und eisbedeckten Monte Rosa, einfach umwerfend schön! [Standort]
Guten Morgen, liebe WeggefährtInnen!
Heute geht's von Campello Monti über Riemella nach S. Maria.
Wünsche euch einen wunderbaren Tag!
Herzliche Grüße
Barbara
27.08.2012
Gut angekommen in Campello Monti 1305m. Ganz eigene Atmosphäre hier, mit keinem bisherigen Ort vergleichbar. Meld mich später, jetzt gibt's Abendessen! [Standort]
Nach einer etwas anstrengenden Nacht in einer Sebstversorgerhütte auf der Alpe di Lago, sind wir jetzt bei richtigem Kaiserwetter Richtung Campello di Monti unterwegs. Konnten bereits einen Blick auf den wunderschönen Monte Rosa werfen! [Standort]
25.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
heute Früh sind Simon, Jakob und ich vom Ref. Citta di Novara/Alpe Cheggio 1500m zu einer Monsteretappe aufgebrochen. Die beiden wollten nämlich 2 Etappen an einem Tag gehen, was neuerlich 2040 hm im Abstieg bedeutet hätte. Hatte schon Bedenken, wegen meinem Knie angemeldet und promt hat mir das Universum einen freundlichen Milchbauern geschickt, der uns, kaum hatten wir das Refugio bei Nebel und Nieselregen verlassen, mit seinem Auto (Milchtransport) 940hm ins Tal mitgenommen hat. Wodurch sich der Abstieg fast um die Hälfte reduziert hat. Von San Pietro 689m ging es in dichtem Nebel und ziemlich schweißtreibend 1010 hm zur Alpe della Colma 1570m hinauf. Dort haben wir uns mit Pasta und Salat für 1100 hm Abstieg gestärkt und sind neuerlich in dichtem Nebel unterwegs gewesen. Auf halber Höhe kam dann noch Gewitter und Starkregen dazu, diesen haben wir in einer Holzscheune abgewartet (Simon und Jakob Karten spielend, ich Fotos sortierend).
Jetzt sind wir glücklicherweise im Albergo del Tiglio 500m. Haben uns Pizza und Dolce schmecken lassen
und ich werde bald schlafen gehen. Das Geräusch des Reges hat etwas sehr gemütliches, vor allem hier in dem kleinen Hotelzimmer, das sich wie ein Nest in den Bergen anfühlt.Heute sind wir vom Antronatal über einen alten Maultierpfad nach Molini di Calasca ins Anzascatal gewandert und morgen geht es wieder hoch hinauf.
Die nächsten 5 Etappen führen uns entlang alter Walserwege, auch ein Stück durch den Parco Naturale Alta Valsesia mit wunderbaren Blicken zum Monte-Rosa.Mit herzlichen Grüßen
Barbara [Standort]
24.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
gestern habe ich es gerade noch, knapp vor der Dunkelheit ins Ref. S. Bernardo 1628m geschafft. Ein freundlicher Italiener hat mich die letzten hm und ca 4km mit dem Auto mitgenommen, weil er meinte, dass ich den Weg, der arg zugewachsen und verwildert ist, nicht finden würde. Ich habe seine Hilfe sehr gerne in Anspruch genommen, denn auf eine Verirrung in der Finsternis hatte ich keine große Lust, noch dazu wo ich seit vorgestern Abend nichts mehr warmes gegessen hatte und deshalb unbedingt rechtzeitig zum Abendessen im Refugio sein wollte.
Dort haben mich Simon und Jakob begrüßt, zwei junge Oberösterreicher, die ich auf der Alpe Veglio kennengelernt habe. Die Freude des Wiedersehens war groß (zumindest auf meiner Seite). Wir waren die einzigen Gäste im sehr freundlichen Ambiente der Hütte. Und zum Essen gab's auch noch was. Nach ausgiebigem Kartenstudium haben wir uns entschieden den heutigen Weg über den Passo della Preia 2379m zur Alpe Cheggio 1500m gemeinsam zurück zulegen. Weite Strecken ging es durch dichte Nebelfelder und Nieselregen, bei angenehm kühler Temperatur im Vergleich zur Hitze der letzten Tage.
Anregende Gespräche über's Brotbacken, Simon erlernt gerade den Beruf des Bäckers im zweiten Bildungsgang und er hat ein wunderbares Brot für die Reise gebacken, das beste Brot meiner bisherigen Reise: saftig, wohlschmeckend und voll nahrhaft.
Beide haben die HTL in Hallstatt besucht und waren dort im Internat und haben mit leuchtenden Augen von dieser Schule und ihrer Klassengemeinschaft erzählt. Jakob besucht jetzt dort die Bildhauerschule und David, der leider aufgrund von schlimmen Blasen auf den Fersen frühzeitig nach Hause fahren musste, studiert nachhaltige Energiegewinnung in Wels. Allen dreien gemeinsam, ist ein ganz wacher Blick auf die Welt und der Wille, das eigene Leben zu gestalten. So treffe ich auf meinen Wegen immer wieder auf Menschen, die im kleinen, wie im Großen bereits ein Stück weit "Wandel leben".
Schön und bestärkend ist das!
Herzliche Grüße
Barbara [Standort]
23.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
sitze grad aufgrund von Regen und Gewitter ein wenig fest, glücklicherweise im Trockenen, nämlich unter dem Vordach eines alten Steinhauses kurz vor Valpiana am Weg zum Ref. S. Bernardo, wo ich wieder auf den GTA treffen werde.
Habe ein wunderbares Quartier in Varzo gefunden und mich dort gleich wie zu Hause gefühlt, weil mich tibetische Gebetsfahnen, ein lächelnder Buddha und die Anapurna begrüßt haben. Dieses "bed and breakfast" kann ich allen empfehlen, es hat eine wunderbare Atmosphäre, ein uraltes Haus, mit von Oma bestickter Bettwäsche, aber nicht muffelig, sondern alles ganz liebevoll, sauber und einfach schön. Teuer war's auch nicht (€ 35.- für Zimmer mit Balkon, Dusche incl. Frühstück).
Leider hab ich keine Wanderkarte gefunden und mich deswegen entschieden mit dem Bus nach Domodossola zu fahren, mir dort eine Karte zu besorgen, um den Weg zurück zum GTA zu finden. Alles das war ein ziemliches Abenteuer, gar nicht so einfach den Weg aus der Stadt rauszufinden, davor am Bauernmarkt noch frische Feigen eingekauft, Brot und Ziegenkäse und so wurde es für meinen tatsächlichen Aufbruch ziemlich spät und die Hitze hat mich den ganzen Tag begleitet.
Wunderschöner Weg nichts desto trotz, ein alter Maultierpfad, kunstvoll angelegt, die kleinen Gebirgsdörfer verbindend. Am Wegrand Feigenbäume, Palmen, Kakteen, Ringlotten, reife Brombeeren und überall vor den Häusern kleine Gemüsegärten mit bunten Herbstblumen. In jedem Dorf ein Brunnen mit frischem Wasser. Die Menschen ganz freundlich. Heute habe ich wieder Applaus für den langen Weg zu Fuss von Wien hierher, erhalten. Vor ein paar Tagen, irgend wo in den Bergen, bei einer Begegnung mit einer ital. Familie, haben sie, als ich ihnen "ho fato tutto a piedi da vienna ici" (der einzige Satz, den ich auf ital. kann) gesagt habe, alle begeistert applaudiert. D.h. ich bleibe meinem Beruf als Performerin auch auf dieser Reise durchaus treu :-)
Ich liebe diese uralten, bäuerlichen Wege, weil sie die Landschaft mit einer unglaublichen Kunstfertigkeit, die ganz mit dem Leben verbunden war, geformt haben. Gleichzeitig spüre ich immer wieder eine Trauer darüber, dass es dieses bäuerliche Leben kaum mehr gibt, niemand mehr da ist, der die reichlichen Früchte des Spätherbstes sammelt und daraus Marmelade macht, oder Kuchen. Außer einer müden und hungrigen Wanderin aus Wien, die sich über alle diese üppigen Gaben sehr freut. Am Wegrand verlassene Häuser, die langsam in sich zusammenfallen oder Dörfer, wo nur mehr ein paar Menschen leben.
Es regnet immer noch und immer stärker. Notfalls werde ich hier in diesem alten, leeren Holzschupfen mein Nachtquartier aufschlagen müssen, aber ich habe seit vorgestern Abend kein warmes Essen mehr im Bauch und keine Lust auf eine weitere Jause, also hoffe ich, dass es demnächst aufhören wird so stark zu regnen und ich mich wieder auf den Weg machen kann...
Herzliche Grüße aus dem Valle Bognanco
Barbara [Standort]
22.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
hab mich ein wenig unabhängig gemacht sowohl von der im Rother GTA vorgeschlagenen Tour nach Gondo (in die Schweiz) als auch von Jean-Paul, der heute Früh in diese Richtung weiter gegangen ist. Ich hingegen, bin mit Claudia, die ich beim gestrigen Abendessen kennengelernt habe, über die Berge und Almen Richtung Varzo gegangen. Die Begegnung mit Claudia war eine jener, die wie sie zum Abschied gemeint hat, "einfach sein musste". Und genau so habe ich das auch empfunden. Es ging in unseren Gesprächen einmal mehr um die Unberechenbarkeit von Tod und Krankheit, um die Möglichkeiten eines selbst- und nicht fremdbestimmten Lebens, um Geburt, Familienleben und Kinder und nicht zuletzt um die "italenische Lebenshaltung", die mehr Zeit zu haben scheint und fähig ist diese Zeit auch zu geniesen.
Im gestrigen Gespräch, wo wir uns auch kennen gelernt haben und gleich sehr nahe waren, ging es um die sogenannten "Verdingkinder" des Tessins, deren traurige Geschichte mir im Museum in Sonongo begegnet ist und Claudia hat von einem dieser Kinder, der von seinen Eltern, aufgrund unvorstellbarer Armut, nach Mailand als Kaminfeger verkauft wurde, ein Buch gelesen, bzw. dieses Buch ihren Kindern vorgelesen.
Diese "Kaminfegerkinder" wurden wie Sklaven behandelt und waren großer Willkür und Misshandlungen ausgesetzt. Mich hat das Schicksal dieser Kinder sehr beschäftigt, an diesem Tag wo ich von Sonongo über den Redortapass nach Prato Sornico gegangen bin, weil es auch in meiner Familiengeschichte dieses "weggegeben worden sein" gibt. Und ich an jenem Tag viel darüber nachgedacht habe... Das war auch der Tag, an dem ich von Guggis Tod erfahren habe, ein Monat davor von Gerdas Tod und vor ein paar Wochen ist Mario gestorben.
Diese Wanderung ist nicht nur eine Form der Überschreitung (im Großen die Alpen, im alltäglichen die Pässe), sondern offenbart sich immer mehr als eine Durchschreitung aller wesentlichen Lebensthemen. Der Tod in seiner großen Unfassbarkeit, begleitet mich seit Beginn meiner Reise. Als Kind hatte ich große Angst vor dem Tod und jetzt denke ich an Franz von der Marschnellalm im Ultental, der Helga und mir einen ganzen Abend von seinen 40 Jahren bei der Bergrettung erzählt hat und auch in seinen Erzählungen ging es viel um den Tod: abgestürzt, Herzinfarkt, in einer Gletscherspalte festgefroren und dann die Geschichte von jenem Mann, der in der Berghütte beim schließen des Fensters vom Blitz getroffen wurde. "Wenn es Deiner ist, dann hat er Dich", war der trockene Kommentar von Franz dazu. Und komischerweise hat mich dieser Satz total beruhigt. Der Tod ist unausweichlich. Und ich würde gerne so leben, dass ich jederzeit bereit bin zu sterben, wenn der Tod "der meiner ist" vor mir steht.
Und ganz intensiv leben. Jetzt leben. Und nicht dann.
Und spüren wie kostbar dieses Leben ist und was für ein Geschenk! Jeder Atemzug ein neu geschenktes Leben!Und jetzt bin ich ganz müde und wünsche euch eine gute, friedliche Nacht.
xxxBarbara [Standort]
21.08.2012
Nachtrag zum newsletter #12
Liebe WeggefährtInnen,
war und bin ganz gerührt von euren vielen Rückmeldungen, auch in Bezug auf mein wehes Knie. Vielen herzlichen Dank für eure Anteilnahme, schon alleine das wirkt stärkend, ermutigend und heilend. Mir ist sehr bewusst, dass ich diesen Weg nicht alleine und nicht für mich alleine gehe. Euer "mit mir gehen" schenkt mir ganz viel Kraft und Ermutigung, diesen Weg mit all seinen Höhen und Tiefen auch tatsächlich zu gehen! Vielleicht ist die Ermutigung auch ein wenig beidseitig, dass wünsche ich mir sehr. Wie auch immer, ihr helft mir in meine Kraft zu gehen, meine Träume zu leben und mein Potential in die Welt zu bringen. Dafür bin ich euch allen zutiefst dankbar!!! Und ich hoffe, dass dieses "einfache" tun und sein ein wenig Licht und Klarheit in die Welt bringt. In jedem Fall ist dieser Weg für mich eine Reise der Transformation und ihn gehen zu dürfen eine der wichtigsten Erfahrungen meines Lebens.
Was daraus geboren wird, wird sich weisen. Ich empfände es als großen Fehler, dass bereits jetzt festlegen zu wollen.
Heute Früh habe ich tatsächlich Ruta D200 in der kleinen Apotheke in Bacena bekommen und bin dann mit dem Bus wieder zurück zur Alpe Devero. Von dort ging es heute über zwei Pässe (Scatta d'Orogna 2462m und Passo di Valtendra 2431m) in 8Std. zur Alpe Veglia 1760m - ein beeindruckender Hochgebirgskessel direkt vis a vis vom Monte Leone. Alpe Veglia war der erste Naturpark des Piemont.
Bin im Ref. Citta di Arona, einer Alpenvereinshütte. Hab ein winziges Zimmer ganz für mich allein (Luxus!) und vom Bett sehe ich direkt auf das vergletscherte Haupt des majestätischen Monte Leone.
Und jetzt geh ich duschen, denn um halb 8 gibt's Abendessen!
Herzliche Grüße
Barbara [Standort]
20.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
heute Früh bin ich von Crampioli nach Alpe Devero abgestiegen und mit dem Bus nach Bacena gefahren, um hier Geld abzuheben und in der örtlichen Apotheke ein homeopathisches Medikament (Ruta D 200) für mein Knie zu besorgen. Hatten sie nicht lagernd und weil es erst morgen früh geliefert wird, habe ich beschlossen mir und dem Knie einen Pausentag zu gönnen.
Habe in den letzten 4 Wochen vom Stilfser Joch bis Riale in etwa 427km und 30710 hm im Aufstieg und 30893hm im Abstieg zurückgelegt. Jetzt weiß ich, was diese Zahlen bedeuten...
Buena notte!
xxbarbara [Standort]
19.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
bin in einem Bilderbuchort gelandet, mit dem nicht minder süßen Namen "Crampioli", habe ich hier im Albergo La Baita ein ganzes Lager, mitsamt Balkon und Holzbank, für mich alleine. Was für ein Luxus! Frisch geduscht, Wäsche gewaschen und in der Abendsonne zum trocknen aufgehängt, schaue ich jetzt auf die markanten Felsspitzen der Lepontinischen Alpen. Hier ist noch mal so richtig Sommer, zur Zeit fantastisches und ganz stabiles Wetter mit viel Sonnenschein. Zur Zeit bin ich im nördlichen Piemont auf alten Walserwegen unterwegs und heute nach einem gemütlichen Aufstieg zum Pass "Scatta Minoia" 2599m und einem weitläufigen, sehr grünen und sanften Abstieg zur Alpe Forne 2213m (wo wir in einer kleinen Sennerei selbstgemachten Käse gekauft haben) sind wir in die Seenlandschaft des Lago di Devero eingetaucht- im wahrsten Sinn des Wortes: diesmal war es ein richtiges eintauchen mit ausgiebigem schwimmen, wobei außer den Fischen und mir niemand sonst diesen Schritt gewagt hat. Im Vergleich zu den Gebirgsbächen des Tessin, war der See fast schon "warm". Auf jeden Fall wunderbar erfrischend. Danach gab's Käse und einen Brotkuchen (mit Nüssen, Feigen und Rosinen) und als Nachspeise reichlich Heidelbeeren, die hier gerade richtig vollmundig reif sind.
In Crampioli angekommen, habe ich mich erst mal in die kleine Kapelle und in die kühle Stille zurückgezogen. Danach haben wir uns ein ebenfalls hausgemachtes Joghurt mit Mirtilli (Heidelbeeren) im Agriturismus (einem kleinen Hofladen) gekauft und im Schatten mehr als schmecken lassen.
Jean-Paul ist nach Alpe Devero weitergezogen und ich bin hier geblieben, weil ich nach wie vor sehr darauf achte mich und meine Knie (denen es bereits wieder besser geht) nicht zu überfordern. Es tut einfach auch so gut ein wenig Zeit zu haben und nicht dauernd die maximalen Wegstrecken zurückzulegen.
Alle italenischen Sonntagstouristen haben Crampiolo verlassen und jetzt ist es ganz friedlich und ruhig hier. Der Bach rauscht direkt vor meinem Nachtlager vorbei und gleich gibt's italenisches Abendessen- üppig, geschmackvoll und ein Genuss auf allen Ebenen, besonders bei großem Hunger :-)
Morgen Früh steige ich ca. eine halbe Stunde nach Alpe Devero ab und nehme von dort einen Bus nach Baceno, weil es dort eine Post, Bank und Aptheke gibt. Brauche dringend finanziellen Nachschub...
Danach fahre ich zur Alpe Devero zurück und von dort geht es dann weiter Richtung Alpe Veglia.
Aber jetzt essen!
Wünsche euch einen schönen Sonntag Abend und einen guten Wochenbeginn!
"Mögen alle Wesen glücklich und frei von Angst sein" [Standort]
18.08.2012
newsletter #12
Liebe WeggefàhrtInnen,
unglaublich aber wahr, ich habe einen frei zugaenglichen Computer gefunden und zwar im Ref. Margaroli. Befinde mich seit gestern im nòrdlichen Piemont, auf der zweiten Tagesetappe des "Grande Traversata Delle Alpi". Und bin, nach den vòllig einsamen und untouristischen Wegstrecken seit dem Stilfser Joch, Engading, Tessin, wo wir mehr oder weniger meistens voellig alleine unterwegs waren, ueber die ploetzliche Menge der deutschen Wanderer, die alle auf dem GTA unterwegs sind, ziemlich geschockt. Diesen Weg gibt es aufgrund der Bemuehungen des deutschen Alpenforschers Werner Baetzing bereits seit den 70iger Jahren, aber vor Erscheinen des Rother Wanderfuehrers (heuer) war dieser Weg eher unbekannt und wenig bis gar nicht begangen. Mal sehen wie sich die Menge an Wanderern "verlaufen" wird. Der Sommer ist ja auch bald wieder vorbei, die meisten sind auch nur ein bis zwei Wochen unterwegs, vielleicht wird's dann schnell wieder ganz ruhig.
Ich jedenfalls war heute den ganzen Tag voellig alleine unterwegs, nicht ganz, denn von Riale ging es zuerst, gemeinsam mit Jean-Paul, zu einem vielbesuchten Wasserfall, wo wir italenische Ferienstimmung geniesen konnten: viele Familien, Kinder, Hunde, bunte Farben, Autos und eine im Vergleich zu oesterreichischen oder deutschen Touristen, sehr entspannte, froehliche Atmosphaere. Trotzdem war ich froh bald wieder in die Stille der voellig verlassenen Bergwelt eintauchen zu koennen, am Weg zur Borchetta del Gallo, wo sich auch die Wege von mir und Jean-Paul getrennt haben.
Der Kraftakt "Tessin" hat seine Spuren in meinem Koerper hinterlassen und seit drei Tagen schmerzt mein rechtes Knie empfindlich, besonders bei den Abstiegen. Deshab habe ich heute eine sehr langsame Gangart mit vielen Pausen eingelegt, in einer einmal mehr unvergleichlich schoenen Landschaft.
Am Pass habe ich folgende Nachricht an euch geschrieben, die ich aufgrund fehlenden Netzes nicht schicken konnte, deshalb schreibe ich sie jetzt von meinem Handy ab:
Liebe WeggefaehrtInnen,
ich sitze am Passo del Gallo in 2498m Hoehe, umgeben von Felsen, von der Sonne gewaermten Steinen, links von mir schneebedeckte Berge, rechts von mir Richtung Westen ebenfalls schneebedeckte Berge und in mir nichts als Frieden und Dankbarkeit fuer diese unglaubliche Weite, Stille und Kraft.
Mein Knie bzw. die Schmerzen in meinem Knie zwingen mich zu einer langsameren Gangart und die Langsamkeit schenkt mir mehr Pausen, mehr Zeit zum Verweilen, schauen, staunen und spueren. Die Langsamkeit ermoeglicht auch eine feinere Form der Wahrnehmung fuer Details, sowohl in mir als auch im Aussen. Irgend jemand hat mich mal nach der Motivation dieser Reise gefragt und gemeint, ob ich auf der Flucht bin. Damals habe ich das ganz entschieden verneint. Aber es gibt einen Teil in mir (und der ist nicht unerheblich) der sich und den anderen beweisen moechte (muss?) eineinhalb Monate (und wenn geht bis zum Ende der Reise) nonstop gehen zu koennen. Dieser Teil empfindet Pausen als Schwaeche und weil er (ist es ein "er"?) gerne stark, unangreifbar und unbesiegbar sein moechte, empfindet er auch jede Form von Schwaeche als Zumutung, die es zu ueberwinden gilt. Deshalb spuert sich dieser Teil auch am besten in der Ueberschreitung innerer und aeusserer Grenzen und ist fuer diese Form des Reisens sicherlich auch ein wichtiger Wegbegleiter, denn ohne ihn/sie-diese Grenzgeherin- hàtte ich wohl laengst aufgegeben, denn eine Nacht unter dem Vordach einer Kirche zu verbringen, ohne Zaehneputzen und waschen, schau ich mir lieber in einem gut gemachten Film an, als es selbst zu erleben.
Aber es gibt ja noch einige andere Momente und innere Begleiter meiner Reise. Jetzt z.B. ist so ein Moment, wo ich mit einer ganz starken Seinsqualitaet verbunden bin, die leider auch auf dieser Reise immer wieder zu kurz kommt. Sie kommt vor allem dann zu kurz, wenn das Ziel wichtiger wird als der Weg und die Leistung wichtiger als die Erfahrung auf diesem Weg. Dann braucht es vielleicht ein schmerzendes Knie, um wieder am Boden der Tatsachen anzukommen.
Seit dreieinhalb Monaten schleppe ich tagein und tagaus mich mitsamt 15kg Gepaeck bergauf und bergab. Bei fast jedem Wetter und ganz unabhaengig von meiner psychophysischen Verfassung.
"That's your own problem", hat mir ein entzuernter Huettenwirt im Ref. Basodino vor 2 Tagen ins Gesicht geschleudert, weil ich es gewagt habe (so wie des oefteren auf Huetten) meine Waesche zu waschen. Habe versucht, ihm zu erklaeren, dass ich seit mehr als drei Monaten unterwegs bin und deshalb darauf angewiesen bin, an Orten wie diesen, meine Waesche zu waschen. Wofuer er kein Verstaendnis hatte...
Warum also mache ich diese Reise und nehme dafuer all diese Strapazen, Unannehmlichkeiten (die zwar selten sind, aber doch vorkommen) und Anstrengungen (die im Tessin, die beiden letzten Wochen beachtlich waren) nicht nur auf mich, sondern bin nach wie vor mehr als einverstanden mit (fast) allem dass mir begegnet.
Weil es Momente wie diesen hier und jetzt gibt. Wo sich Zeit und Raum ins Unendliche ausdehnen. Wo jede Form von "Wollen" fuer einige Atemzuege vollkommen uebefluessig wird, weil ich spueren und wahrnehmen kann, dass diese Weite und Schoenheit, die mich hier umgibt, Teil unseres menschlichen Potentials ist. Wir sind dieser Raum und wir sind die Weite des Raums.
Zumindest als Moeglichkeit, in jeder/jedem von uns angelegt. Und an Orten, wie diesem, vielleicht ein wenig besser zu spueren...
Und in dieser Form unterwegs zu sein, verhindert jede Form von "festhalten". Ein Abschied folgt dem naechsten.
Deshalb verabschiede ich mich jetzt von euch und widme diese Zeilen dem Andenken an Guggi, Gerda und Mario, die alle drei viel zu frueh gegangen sind. Ich wuensche Ihnen und allen Wesen tiefen inneren Frieden und Freiheit, Licht fuer Ihren Weg und ganz viel Trost und Liebe fuer alles Schwere und Unerloeste in uns allen.
eure Barbara
Passo del Gallo 18. August 2012
p.s. Danke euch allen fuer eure Nachrichten an mich, die ich zur Zeit aufgrund fehlender Zeit und fehlendem Netzzugang nicht beantworten kann. Aber ich freue mich ueber jedes Lebenszeichen von euch! SEHR!!! DANKE!!!
17.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
manchmal fühle ich mich wie in einem Film auf dieser Reise. Jetzt zum Beispiel. Hier in Riale, im nördlichen Teil des Piemont war kein Zimmer mehr zu finden. Der freundliche Besitzer einer kleinen Bar hat sämtliche "Bed and Breakfasts" für mich angerufen, aber Riale ist klein und jetzt haben die Italiener Ferien und deshalb ist alles ausgebucht. Er gab mir dann den Tipp, bei der Kirche am Hügel zu biwakieren und ein italenisches Pärchen, die eben vorbei kamen, als ich meinen Biwagsack im bereits feuchten Gras ausgebreitet hatte, meinten ich solle doch direkt unter dem Vordach der Kirche mein Nachtlager aufschlagen, da sei ich sowohl vor der Nässe, dem Regen und den Kühen geschützt. Und ja, da bin ich jetzt und eben als ich Edelsandlerin meie Füsse mit Weledafussbalsam eingecremt habe, kam ein Schweizer Pärchen die Kirche besichtigen. Ich habe ihnen auf italenisch einen guten Abend gewunschen und an ihrer Reaktion bemerkt, dass sie wahrscheinlich keine Italiener sind, denn sie haben so getan, als ob ich nicht da wäre. Wie auch immer, bin sehr froh wieder in Italien zu sein, gleich eine völlig andere Stimmung als in der Schweiz.
Der Weg hierher war wunderschön. Vom Ref. Basodino 1891m am gleichnamigen Gletscher vorbei, hinauf zum Lago di Matörgn 2460m und weiter zur Bocchetta di Val Maggia 2636m. Vom Pass herrlicher Blick ins Val Toggia, mit seinen zahlreichen Seen. Nach dem überschreiten der Grenze (direkt am Pass) ging's zuerst über ein Geröllfeld steil hinunter und dann sanfter über weite Almwiesen und an den glitzernden Seen vorbei hinunter nach Riale 1732m, der Walser Name lautet Z'Chärbärch.
Und jetzt wird's kalt, deshalb schlüpfe ich in meinen Schlafsack und wünsche euch allen eine friedliche Nacht und ein schönes Wochenende!
Barbara [Standort]
16.08.2012
Was für ein Abstieg! Aber mittlerweile haben wir uns in der "grott di baloi" gestärkt und der Weg durch das wunderschöne Bavonatal wieder Richtung Norden, kann weitergehen. Das Bavonatal ist das einzige Tal in der Schweiz, dass noch ohne Elektrizität ist. Dafür gibt es auch hier einen wunderschönen, magischen Fluss, unzählige Wasserfälle, die aus großen Höhen in die Tiefe stürzen, uralte, kleine Dörfer, allesamt aus Stein, wie hier im Tessin die Steine und Felsen überall sehr markant vertreten sind. Hab mir nach dem Essen, es gab Forelle im Kohlblatt gegrillt, mit Gemüse gefüllt, dazu Rosmarinerdäpfel und als Nachspeise Maronitarte a la casa (alles unglaublich schmackhaft, vor allem nach fünf Tagen Pasta), eine Übersichtskarte des Tessin angeschaut und verstehe jetzt all die gequerten Täler und Pässe ein wenig besser. Auch den Ort "Maggia" habe ich gefunden, dort befindet sich das Museum von Harald Szeemann, dass mir Jack per mail empfohlen hat. Das Maggiatal befindet sich südlich des Bavonatals, oberhalb von Locarno und ich bin jetzt noch ca. 2 Tagesetappen vom Griespass entfernt, von wo mich mein weiterer Weg auf dem "Grande Traversata delle Alpi" durch Italien in etwa 65 Tagesetappen ganz in den Süden und ans Meer führen wird. Unglaublich aber wahr!!! Wird aber auch Zeit, denn hier kündigt sich bereits der Herbst an, mit reifen Früchten auf den Bäumen, gelb verfärbten Wäldern in tieferen Lagen, die Brombeeren lösen langsam die Heidelbeeren ab, in der Früh starker Morgentau und es riecht bereits nach satter Herbsterde.
Nach 3,5 Monaten bergauf und bergab spüre ich seit ca. 3 Tagen das erste mal meine Knie, vor allem beim bergab gehen. Sehr unangenehm. Die letzten Wochen waren einfach heftig, was die täglich zu bewältgenden Hm betrifft. Hoffe sehr, dass die zukünftigen Wege diesbezüglich wieder ein wenig moderater werden... Damit sich meine armen Knie ein wenig erholen können.
Heute ging es tatsächlich erneut 1700hm hinunter, über einen sehr eindrucksvollen Weg, mit unzähligen Steinstufen, die ein gewisser Olimpio gemeinsam mit seinem Neffen Francesco in den Jahren 1946/47 gebaut hat, unvorstellbar!!!
Nun gut, wenn die beiden Herren das geschafft haben, dann wird es für mich ein "leichtes" sein, bis ans Meer zu kommen, ich kann es schon förmlich riechen :-)
Heute ist großer Feiertag in Italien und auch im Tessin, dass macht die Ziegenhirten singen. Gestern und heute Früh waren ihre rauhen Stimmen weit über die Berge zu hören und die kleine weiße Ziege hat sich heute Früh den letzten Rest der Vollkornspaghetti von gestern, schmecken lassen.
Und jetzt geht's weiter... [Standort]
15.08.2012
Guten Morgen liebe WeggefährtInnen,
habe die Nacht in einer kleinen "non garded" Berghütte- Refugio Fiorasca verbracht. Den Herd eingeheizt, Spagetti gekocht und herrlich geschlafen! Jetzt steht mir ein Abstieg von fast 2000hm und danach ein neuerlicher Aufstieg von 1700hm bevor. C'est la vie dans les alpes, fishy hat die Brücke oben drüber leider noch immer nicht realisiert :-)
Schönen Tag wünsch ich euch!
Barbara [Standort]
14.08.2012
Siesta der Schweine
13.08.2012
Ihr Lieben,
bin in Prato Sornico, heute alleine unterwegs. Jean-Paul hat den Weg über das Ref. Tomeo genommen, weil sein Enkelsohn Tomeo heißt.
Und ich habe wieder mal unglaubliches Glück, denn gleich zu Beginn des Ortes habe ich vor einem schönen, alten Haus, frischen Ziegenkäse "gefunden". Und gleich darauf kam eine freundliche, ältere Dame, mit ihren beiden Enkelsöhnen, die mich darüber aufgeklärt hat, dass das einzige Restaurant/Hotel im Ort heute geschlossen hat, aber dass ich bei ihrem Sohn (der Biobauer ist und diesen fantastischen Ziegenkäse herstellt) im "Heuhotel" schlafen kann (inkl. Dusche :-)
Und dann hat sie mich zum Essen eingeladen!!!
Einfach unglaublich!!!Melde mich später noch mal...
12.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
würde euch sehr gerne ausführlicher von den Wegen der letzten Wochen berichten, weiß gar nicht mehr wie viele Täler ich gequert und wie viele Pässe ich überschritten habe, verliere langsam den Überblick... Alleine die Zeit reicht meistens nur für ankommen, essen, Körperpflege, Wäsche waschen, wenn möglich den Standort abrufen und schicken, wenn möglich alle leeren akus laden, wenn möglich die ausgewählten Fotos schicken- dass kann manchmal bis zu 3 Tagen dauern, je nach Empfangslage, kostet viel Zeit, Geduld und Nerven, sowie wiederholtes, unermüdliches probieren an allen möglichen und unmöglichen Orten. Wenn ein Gewitter im Anzug ist, dann funktioniert meistens gar nichts mehr.
Abgesehen von der enormen Anstrengung der letzten 4 Wochen. Tagtäglich im Schnitt 2000hm im Auf- sowie im Abstieg zu absolvieren, das ganze bei großer, zum Teil drückender Hitze sind kein "Lärcherlschaas" (würde Johnny sagen). Auch die Essensversorgung ist eine Angelegenheit für sich und die letzten Tage reagiert mein Magen zunehmend empfindlich auf zuviel substanzloses Brot, zu unregelmäßiges oder einfach auch auf zu wenig essen. Einkäufe sind selten möglich, es darf dann auch nicht zuviel auf einmal sein, weil es erstens zu schwer wird und zweitens nicht mehr in meinen jetzt doch um 10l kleineren Rucksack passt.
Deshalb bin ich sehr froh, heute die Nacht im einzigen Hotel Sonognos, verbringen zu können, umso mehr als sich rundherum Gewitter ankündigen. Habe mit viel Glück das letzte Zimmer bekommen und jetzt sitze ich auf der Terrasse höre dem zirpen der Grillen zu und den Gesprächen der Hotelgäste, schau mir die umwölkten Bergspitzen an und schreibe euch.
Jean-Paul verbringt die Nacht im Zelt, heute sind wir gemeinsam von Capanna d'Efra abgestiegen, nachdem wir gestern jeweils eigene Wege gingen. Brauche wieder ein bisschen Zeit für mich alleine. Da kann ich ganz mit meinem eigenen Rythmus gehen und bin dann auch der Natur und mir selbst viel näher, in diesem Raum kann sich alles in mir ausbreiten und aufatmen und ich spüre wie sehr dieses kleine "ich" Teil einer unendlichen Weite ist. Im Grunde ist es die körperliche Erfahrung von Transzendenz, oder wie auch immer dieser Zustand einer realen und doch sehr bodennahen Entgrenzung zu bezeichnen ist. Im Alleine-Sein ist es für mich leichter, diesen Raum zu spüren und zu erfahren.
Sonogno 916m ist der letzte Ort im Val Verzasca, eines der bekanntesten Täler im Tessin. Morgen geht's 1706hm hinauf auf den Redorta Pass 2159m und auf der anderen Seite 1878hm hinunter nach Prato Sonico, ein Hauptort der Lavizzara. Gehzeit mit 7Std. angegeben, also voraussichtlich 9Std. Soviel dazu...
Deshalb verabschiede ich mich jetzt und wünsche euch eine gute Nacht!
Eure unermüdliche und müde
Barbara [Standort]
11.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
gestern Abend sind wir von Personico noch bis 22:30 das Val d'Ambra hochgestiegen, bevor wir endlich einen geeigneten Schlafplatz gefunden haben. Heute habe ich mir viel Zeit für diesen neuerlichen Aufstieg von 2220 hm genommen. Nach fast 4 Wochen gemeinsamen Gehens, habe ich mich heute wieder alleine auf den Weg gemacht und dies sehr genossen. Zwei Stunden beim Fluss verbracht und in den herrlichen Steinbecken im türkisblauen Wasser gebadet und nach dem wirklich steilen und anstrengenden Aufstieg zum Passo del Gagnone 2204m habe ich dort oben eine weitere Stunde verbracht, die Schafe beobachtet, ein wenig geschlafen und den Blick in die Ferne schweifen lassen. Das hat so richtig gut getan! Denn im Moment sammeln sich die Höhenmeter ohne Ende und das täglich. Da tut es einfach zwischendurch sehr gut der Seele ein wenig Raum zu lassen. Sein und Dasein.
Capanna d'Efra ist eine Selbstversorgerhütte, bestens ausgestattet mit Kochmöglichkeit und ich habe das erste Mal seit Monaten wieder selber gekocht (Festessen :-) : Reis mit Haselnüssen, Datteln und ein paar Eierschwammerl, die ich unterwegs gefunden habe, am Schluss noch eine Brise Salz und Olivenöl. Eine Frau hat mir ein Stück ihres Gemüsesuppenwürfels geschenkt und wir haben uns dieses Gericht so richtig schmecken lassen. Im Moment sitze ich an der noch warmen Hausmauer und die Bergkette vor mir, verschwindet langsam in der Dunkelheit. Diese Reise ist eine der wichtigsten Erfahrungen meines bisherigen Lebens. Was ich tagtäglich übe ist "da sein".
"Mögen alle Wesen glücklich und frei von Angst sein!" [Standort]
10.08.2012
Heute Früh noch über 2062m in einem wunderbaren Refugio - Capanna Cave - und jetzt 292m in Biasca: Palmen, Feigen, reife Brombeeren, aber leider sind wir hier nach wie vor in der Schweiz, obwohl es sich ganz wie im Süden anfühlt, d.h. teures Pflaster, deshalb verlassen wir die Stadt gleich wieder mit dem Bus und begeben uns auf den Weg zu unserer nächsten Etappe nach Capanna d'Efra wieder hoch in den Bergen. Am Weg dorthin suchen wir uns einen Schlafplatz im 1000Sternehotel. Im Moment sind wir im Tessin. Der Weg ins Tal heute war unglaublich schön, ein uralter Steinpfad, durch wunderbare Kulturlandschaften, leider alle ziemlich verlassen. Das ist wie wandern durch ein Museum bäuerlicher Kultur...
Unser Bus kommt gleich, deshalb verabschiede ich mich jetzt und wünsche euch ein erholsames Wochenende!
Barbara [Standort]
09.08.2012
08.08.2012
Valle Calanca, in einer kleinen Privatpension in Rossa. Bis vor kurzem hat jemand im Ort auf einem Alphorn gespielt, wunderschöner Klang. Überhaupt war unsere Reise heute wie in einem alten Kinderbuch. Heidi lässt grüßen :-) Heute Morgen ging es neuerlich 1700hm hinauf zum Passo de Trescolmen 2161m und durch ein wunderschönes Tal (Val Large) auf der anderen Seite wieder runter. Morgen wartet bereits der nächste Aufstieg und Pass auf uns auf unserem Weg nach Biasca. Wir sind zwar in der Schweiz, aber fast alle hier sprechen italenisch. Alle unser Wege begleitet unglaublich viel Wasser, heute gab es sogar am Pass einen kleinen See und seit es wieder warm ist, nehme ich jeden Tag ein kurzes Bad in einem anderen eiskalten Gebirgsbach. Es gibt (fast) nichts schöneres!
Jetzt freue ich mich allerdings auf eine heiße Dusche und wünsche euch allen eine gute Nacht oder einen wunderbaren Tag!
Mit herzlichen Grüßen
Barbara [Standort]
07.08.2012
Pian San Ciacomo, wieder in der Schweiz und sehr, sehr müde. Der gestrige Tag hat viel Kraft gekostet. Seit drei Monaten bin ich damit beschäftigt, mich laufend auf neue Orte, Situationen und Menschen einzustellen. Heute ist mir das fast ein wenig zuviel, aber in ausgeruhtem Zustand schaut alles wieder anders aus...
Wünsche euch eine friedliche Nacht!
Barbara [Standort]
Guten Morgen!
Es scheint die Sonne und wir durften frisch gemachte Butter (mit Brot) zum Frühstück verzehren und nehmen jetzt Abschied von Joseppe, Adelio, Pjietro und der Borgethaalm und machen uns getrocknet und gestärkt auf den Weg nach Pian San Giacomo und diesmal wird es kein Problem sein, über den Pass zu kommen :-) [Standort]
06.08.2012
Der schlimmste Tag meiner bisherigen Reise, aber jetzt ist alles gut...
Liebe WeggefährtInnen,
der gestrige Abend in der Trattoria war zwar wirklich sehr besonders und wir wurden mit einem üppigen Festessen verwöhnt, aber der Alkohol hat mir wirklich nicht gut getan: zuerst ein Weißwein zur Begrüßung, dann Rotwein zum Essen, danach Limoncello und zu guter letzt ein ganz gesunder Scharfgarbenschnaps und mir war die ganze Nacht schlecht. Zudem war die Wettervorhersage für heute alles andere als rosig, aber nachdem es in der Früh nicht ganz so schlecht ausgesehen hat, sind wir trotzdem aufgebrochen...
Spätestens bei der Alm, wo uns die Hirten vor dem schlechten Wetter warnten, von rundherum der Nebel hereinzog und es über dem Pass immer schwärzer wurde, hätten wir eine kluge Entscheidung treffen können, aber nein, Jean-Paul mit seinem ungebrochenen Zweckoptimismus bestand darauf, bis zum Pass weiterzugehen und zu schauen, wie's dort ausschaut. Nachdem ich aufgrund der anhaltenden Übelkeit ohnehin etwas außer Gefecht gesetzt war, bin ich Jean-Paul zwar widerwillig, aber doch gefolgt. Was ein großer Fehler war, denn natürlich wurde es am Pass nicht besser, sondern so richtig infernalisch. Zuerst Regen, immer stärker werden, dichter Nebel, heftigstes Gewitter, dass immer stärker wurde, in einem mächtigen Hagelsturm einen großartigen Höhepunkt erreichte und weit und breit nichts zum unterstellen, ein peitschender Sturm, unbeschreiblich. Nichts desto trotz, will Jean-Paul weiter zum Pass, der nur mehr wenige Meter entfernt ist, aber dort ist es natürlich um nichts besser, weil das Wetter von der anderen Seite kommt, der Nebel völlig zuzieht, der Sturm umwerfend ist und darüberhinaus gibt es keine Markierungen mehr. An diesem Punkt setze ich mich endlich durch und bestehe darauf, dass wir umdrehen und zur Alm zurück gehen. Um 16:00 erreichen wir völlig durchnässt, durchgefroren und erschöpft die Alm, wo uns eine Sennerin Tee kocht und wir uns beim offenen Feuer ein wenig aufwärmen können. Sie schickt uns dann zu den drei Hirten, die ein Stückchen weiter unten wohnen und bereits einen Schlafplatz am Dachboden für uns hergerichtet haben. Es sind dieselben, die uns am Vormittag vor dem schlechten Wetter gewarnt haben...Alle Wasserfälle rundherum quellen über vor Wasser, die Wege haben sich in reißende Bäche verwandelt und es ist unglaublich wie viel Wasser nach wie vor vom Himmel fällt.
Aber jetzt kochen wir Minestrone, trocknen unser nasses Zeug vor dem Kamin und die Welt ist wieder in Ordnung. Ab morgen soll das Wetter für die nächsten Tage wieder besser sein und die Hirten sind, trotz unserer Blödheit, wirklich freundlich und hilfsbereit zu uns...
Und das Feuer hätte ich auch fast ausgehen lassen..."les stupid touriste"
Schicke euch erleichterte, etwas beschämte Grüße von der Borgettoalm.
Barbara
05.08.2012
Was für ein Glück. Nach heftigen, anhaltenden Gewittern letzte Nacht, haben wir es heute fast geschafft trocken in Isola anzukommen. Nicht ganz, denn wir sind kurz vor Isola in einem öffentlichen Unterstand gelandet, bevor es so richtig losging (und andauert mit Gewitter und Starkregen. Feines Gefühl im Trockenen zu sitzen und in den Regen hinaus zu schauen :-) noch dazu war's der richtige Moment für eine kleine Mittagsjause und jetzt heißt's einfach abwarten...
Heute Früh sind wir vom Ref. Bertacchi 2161m nach Stuetta beim Lago Montespluga (ein rießiger Stausee, wie es in Italien viele gibt) und dann durch die wilde Cardinelloschlucht auf einem eindrucksvoll in den Felsen gehauenen, alten Maultierpfad, hinunter Richtung Isola 1286m, wo wir heute in der Trattoria Cardinello übernachten werden... [Standort]
Ein kleiner Nachtrag:
Isola (1268m) war schon immer ein bedeutsames Zentrum, an dem man auf dem Weg zum Splügenpass, einem ehemals wichtigen Übergang zwischen Italien und Mitteleuropa, durch die Cardinelloschlucht vorbei musste. Diese Schlucht wurde bereits zur Zeit der Römer und im Mittelalter begangen. Im Dezember 1800 wagte sich auch eine Truppe Napoleons durch die Schlucht, eine Unternehmung, die zum Lawinwentod von Soldaten und Tieren führte.
D.h. wir wandern nach wie vor auf historischen Pfaden. Gestern z.b. durch das einsame Niemettal über den Alpenhauptkamm zum Pass da Niemet 2285m, der früher ebenfalls ein häufig genutzter Übergang für das Schmugglerwesen zwischen Italien und der Schweiz war.
04.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
heute ist der 4. August, d.h. ich bin seit drei Monaten unterwegs, hurra! Wobei mich der Rucksackdiebstahl ca. 10 Gehtage "gekostet" hat und einige Pausen- und Schlechtwettertage zusätzlich. Wie auch immer, seit meinem Aufbruch in Bolzano vor 4Wochen bin ich nonstop unterwegs und genieße diesen Zustand sehr- nichts tut weh und die Füße laufen wie von selbst. Ich brauch mir keine Sorgen mehr zu machen, ob ich das überhaupt schaffe, die Berge und ihre Eigenheiten sind mir mittlerweile sehr vertraut und es fühlt sich wie das einzig richtige an, dass ich zur Zeit zu tun habe: einfach gehen, nicht mehr und nicht weniger als das. Habe das Gefühl jetzt wirklich dort zu sein wo ich gerade bin, immer nur für diesen Tag. Und in diesem Zustand kann mich alles "erreichen", die ganze Schönheit jeder Landschaft und jedes Zustandes. Heute war es Regen, Nebel, Hagel und noch heftigerer Regen und ein völliges Verschwinden von allem, was übrig blieb war der eigene Atem, die Schritte, das Geräusch des Regens und das entfernte Kuhglockenläuten und die erleichterte Ankunft im warmen Refugio.
Bin immer noch mit Jean- Paul am roten Via Alpina Richtung Isola unterwegs, aber für heute bleiben wir auf dieser freundlichen, italenischen Hütte und gleich gibt's Abendessen :-)
Wünsche euch allen ein erholsames Wochenende!
Mit herzlichen Grüßen
Barbara [Standort]
03.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
wir hatten Glück mit unserem Tippilager, denn letzte Nacht, kam das von mir seit Tagen prophezeite Gewitter mitsamt Regen, tatsächlich und das Tippi hat allen Wettereien standgehalten und ich musste natürlich justament in diesem Moment ganz dringend auf's "Clo", also raus aus dem Indianerzelt mitten hinein in den Regen. Heute Früh waren die Berge mitsamt Juf in dichten Nebel gehüllt und erst nach und nach hat das Averstal im Lauf des Tages seine unglaubliche sattgrüne Schönheit preisgegeben. Wir sind der alten Averserstraße gefolgt, durch winzigkleine Ortschaften mit so klingenden Namen wie Juf, Juppa, Pürt und Cröt. Diese abgeschiedene, hochgelegene Tal wurde beteits seit der Spätsteinzeit besiedelt, ab dem 10Jhd. von den Romanen und Rätiern und später von den Walsern, die sich hier unter schwierigen Lebensbedingungen niedergelassen haben. Aufgrund des Holzmangels wurde im Avers bis vor kurzem mit 2 Jahre lang getrocknetem Schafmist geheizt. Aufgrund der Abgeschiedenheit blieb Avers seit dem 14. Jhdt. von Kriegszügen und Verwüstungen verschont, so sind die alten Siedlungsstrukturen weitgehend erhalten geblieben. Die Landwirtschaft bildet, neben sanftem Wandertourismus, nach wie vor eine wesentliche Lebensgrundlage für die Menschen im Averstal.
Der letzte Teil unseres Weges nach Innerferrera hat uns auf einem kleinen Waldpfad, durch das immer enger werdende Tal geführt, begleitet vom Rauschen des Flusses mit wunderbar geformten Gletschermühlen mit türkisfarbenen Wasser, einladende Becken zum eintauchen, überhaupt eine Landschaft zum eintauchen: wellige, trotz ihrer Steilheit, sanfte Gebirgshänge, Lichtstimmungen und eine Weite, wie ich sie von Abbildungen aus Tibet kenne, wunderbare Baumbestände mit uralten Lärchen und Kiefern, der Geruch von feuchter, satter Erde, ein Meer von reifen Waldfrüchten (Heidelbeeren, Walderdbeeren, Himbeeren), Pilze in allen Farben und Formen, Farne, Moose, ein Wald wie in uralten Märchen. Der Weg, zum Teil wie ein japanischer Zengarten über alte Steinplatten und Stufen führend und jetzt sitze ich zufrieden, weil nach drei Tagen endlich wieder eine heiße Dusche und kein kaltes Gebirgsbachbad, in einem Bett mit richtig angenehmer Matratze, im Hotel "Alpenrose" in Innerferrera. Auf diesen Luxus habe ich, nach drei Nächten im Freien, bestanden. Obwohl mir das draußen schlafen immer vertrauter wird und eine ganz besondere Erfahrung ist, aber davon mehr, ein ander mal. Wünsche euch eine friedliche Nacht mit wunderbaren Träumen! Hoffe, ich kann euch ganz bald ein wenig mehr über meine innere Reise erzählen. Die äußere wird immer leichter. Und bei jedem Aufbruch erfreue ich mich auf's neue an der für mich allerschönsten und allerbesten Tätigkeit: dem Gehen. Und nein, mir ist noch immer nicht langweilig und bei jedem Pass und Übergang in ein neues Tal, bin ich immer wieder überrascht wie anders es auf der anderen Seite, nicht nur aussieht, sondern ist. Und obwohl es immer wieder Berge sind und nichts als Berge, Pässe und Täler, gleicht keines dem anderen. Unglaublich aber wahr! Steine und Wasser haben viel gemeinsam und langsam verblüht der Arnika. Alles das was das Leben ausmacht, ist unendlich kostbar und ich bin für jeden Moment dieser Reise zutiefst dankbar.
"Mögen alle Wesen glücklich und frei sein!" [Standort]
02.08.2012
Unglaublich aber wahr, kurz vor Juf im Engadin, haben wir nach einer anstrengenden, aber wunderschönen Etappe über drei Pässe, hier tatsächlich ein Tippi gefunden. Romantisch, aber trotzdem ziemlich kalt. Wie gut, dass Jean-Paul eine Kocher mit hat und Instantsuppen, das wärmt von innen. Heute Abend gab's "soup chinoise", jetzt trinken wir noch einen Frauenmantel/wilder Thymiantee und dann ganz schnell in den warmen Schlafsack schlüpfen und schlafen! Immerhin haben wir 1353hm im Aufstieg und 1041m im Abstieg zurückgelegt und waren mehr als 8 Stunden unterwegs. Von Maloja ging's in der Mittagshitze zum "Lägh dal Lunghin"- einem wunderschön gelegenen Gebirgssee, während des Aufstiegs immer wieder herrliche Blicke zur Berninagruppe und zum tiefblauen Silsersee. Der "Lägh dal Lunghin" ist für die Engadiner ein Heiligtum, hier entspringt der Inn. Weiter oben am Pass Lunghin eine dreifache Wasserscheide, der Inn fließt ins schwarze Meer, die Maira ins adriatische Meer und die Julia mit dem Rhein zur Nordsee. Weiter ging's dann auf dem 100jährigen historischen Wanderweg zum Septimerpass, ein historischer Übergang von Bivio ins Bergell. Ein neuerlicher Anstieg brachte uns zum Forcellinapass und hinunter bis kurz vor Juf, dass mit 2126m als höchstgelegene ganzjährig bewohnte Siedlung Europas gilt.
Gute Nacht!
"Mögen alle Wesen glücklich und frei sein!" [Standort]
01.08.2012
Liebe WeggefährtInnen,
heute Früh sind wir von Chiareggio einen alten Maultierpfad hinaufgestiegen- 1124hm bis zum Passo del Muretto 2562m- ein früher viel benutzter Grenzübergang zwischen Italien und der Schweiz. Auf der anderen Seite ging's sehr steil und unlustig wieder 919m runter ins Val Fuorno zum Lago di Cavloc. Weil wir jetzt wieder in der Schweiz sind, genauer im Engadin, kurz vor Maloja haben wir uns für eine weitere Nacht im Freien entschieden. Jean-Paul kocht gerade Tee und neben uns rauscht der Gebirgsfluss, in dem ich vor kurzem noch geschwommen bin. (herrlich, aber ganz schön kalt). Hoffe, dass Wetter bleibt trocken. Der Fluss erinnert mich an den Bach meiner Kindheit, wo ich ganz viel Zeit verbracht habe. Überhaupt war heute ein ganz friedlicher, freundlicher und sehr zufriedener Tag. Der Aufstieg mit wunderbaren Blicken zum Monte Disgrazia und ein wunderschönes Finale am Fluss. Oben beim See gab es eine Ziegenkäserei, wo ich ganz frischen 2 Std. jungen Ziegenkäse eingekauft habe, der unseren Tag richtig schmackhaft abgerundet hat. Der Passo da Muretto war im Mittelalter die kürzeste Verbindung von Chur ins mittlere Veltlin. Auf diesem Weg wurden vom Süden Wein, Korn, Tragkörbe und Lavezgeschirr in den Norden transportiert und umgekehrt Vieh und Milchprodukte in den Süden.
Jetzt wird's langsam kalt und Zeit das Nachtlager einzurichten.
Mit herzlichen Grüßen, eure unermüdliche Bergauf- und Bergabgeherin :-) [Standort]