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dream and walk about


An dieser Stelle wird zu Beginn das Gehen als Methode (1) dargestellt und inwiefern es sich dabei um eine Alltagspraxis handelt, die sich ebenso als Recherche- und Erkenntniswerkzeug eignet. Genauso wie einem Ort kann man sich einer Thematik annähern und wie viele prominente Verfechter dieser Praxis bereits gezeigt haben, gehen Gehen und Denken oft miteinander einher.

Die WeggefährtInnen (2) spielen dabei eine besondere Rolle, um die Perspektiven auf die Bedeutung des Gehens aufzuzeigen und miteinander zu teilen. WeggefährtInnen sind dabei genauso historische Vorreiter wie geplante und zufällige ReisegefährtInnen. Das Publikum wird bei „dream and walk about“ ebenso auf die Reise mitgenommen, indem es nach der Auftaktperformance „about leaving“ als LeserInnen des Logbuchs oder auch als BesucherInnen der „about walking“ Veröffentlichungen die Entwicklung dieses Kunstwerks mitverfolgen kann, wie in der konkreten Beschreibung des Gesamtprojekts „dream and walk about“ (3) nachzulesen ist.

Was dieses Projekt so besonders macht, ist wiederum unter dem Punkt Spezifik (4) angeführt, gefolgt von der Biographie (5) der künstlerischen Expeditionsleiterin Barbara Kraus.

 

(1) Gehen als Methode

Wege entstehen dadurch, dass man sie geht ... Franz Kafka

Gehen ist nicht nur fundamental für unseren Alltag und unser soziales Leben, sondern hat sich als künstlerische, philosophische, politische und spirituelle Praxis schon seit Jahrhunderten bewährt. Der Beruf des Künstlers ist historisch als auch aktuell eng an das Konzept der Mobilität geknüpft, so dass sich Kunstmachen ohne Fortbewegung von einem Ort zum anderen gar nicht denken lässt. Was macht jedoch die Alltagspraxis Gehen zu einer Methode, die sich fruchtbar für ein künstlerisches Projekt einsetzen lässt?

Wenn man den Recherche- und Forschungsaspekt in den Blick nimmt, lohnt sich ein Verweis auf Zugangweisen der Anthropologie oder Ethnographie, wo es darum geht, eine Gruppe durch Teilnahme an ihren alltäglichen Handlungen zu erforschen. Nicht von ungefähr ist dabei eine der zentralen Methoden der Feldforschung die teilnehmende Beobachtung, die zumeist nicht im Sitzen sondern im Gehen erfolgt. Gehen ist ist eine Form, sich einem Ort anzunähern, ihn zu erkunden und ihn sich anzueignen.

Zentral beim Gehen ist auch der körperliche Bezug, den man über seine Sinne zur Umgebung aufbaut bzw. könnte man überspitzt sagen, dass der Raum erst durch körperliche Bewegung les- und wahrnehmbar wird. David Howes beschreibt dies mit dem Konzept „emplacement“, das er als „the sensuous interrelationship of body-mind environment“ definiert. Verstehen findet nicht nur auf einer verbal-sprachlichen Ebene, sondern auch auf einer körperlichästhetischen Ebene statt. Wenn man Gehen als Erkenntnisinstrument begreift, ist es darüber hinaus auch möglich, Gehen als Forschungs-methode zu benützen, um Erkenntnisse zu generieren, die nicht von der Körpererfahrung losgelöst sind.

Ein gehender Mensch spürt die unmittelbare Verbindung zu seinem Körper ganz anders als ein sitzender Mensch das tut. Auch Kirkegaard wusste das, als er 1847 in einem Brief an Jette schrieb:

Above all, do not loose your desire to walk: every day I walk myself into a stage of well-being and walk away from every illness; I have walked myself into my best thoughts, and I know of no thought so burdensome that one cannot walk away from it...but sitting still, and the more one sits still, the closer one comes to feeling ill...Thus if one just keeps on walking, everything will be allright.

Gehen ist im Gegensatz zum Laufen eine Fortbewegung ohne Flugphase. Das heißt, den Füßen kommt niemals und in keiner Phase der Fortbewegung der Kontakt zum Boden abhanden. Vielleicht wirkt das Gehen deshalb so beruhigend, weil es die Erdung niemals aufgibt. Die Füße schauen beim Gehen auch nach vorne und niemals zurück. Vielleicht ist das Gehen deshalb so anziehend, weil es nirgendwo ankommt, und wenn doch dann nur, um sich wieder auf den Weg zu machen.

 

(2) WeggefährtInnen

Für die Erarbeitung der Performances wird Barbara Kraus sich mit wechselnden WeggefährtInnen aus der Kunst, Philosophie, Sozialwissenschaften, Politik, Wirtschaft und anderen Sparten theoretisch und ganz praktisch auf den Weg machen, um sich der Bedeutung des Gehens aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven anzunähern.

Zu den berühmten historischen WeggefährtInnen mit denen Barbara Kraus die Leidenschaft für das Gehen teilt, gehören so klingende Namen wie Baudelaire, Kierkegaard und Rimbaud. Die theoretische Auseinandersetzung mit nomadischen Lebensentwürfen führte Barbara Kraus auch zum Konzept der nomadischen Philosophie von Gilles Deleuze / Felix Guattari und zur italienischen Philosophin Rosi Braidotti, die auf die Frage, wovor sie am meisten Angst habe, antwortete:

My greatest fear is to become petrified: to become a tree, to put out roots and not be able to move. I have a fear of immobility, of being stuck in one spatio-temporal dimension. It is a variation of a fear of death, a kind of death, of turning to stone and not being able to move again.” K: “That is appropriate for someone who has written a book entitled, ‘Nomadic’ Subjects.” B: “Yes, I suppose I wrote the book because I was trying to both express and rationalize my own need to continually move ... a lovely form of "being lightly.

Zu ihren ganz realen WeggefährtInnen, die mit Barbara Kraus die Auftaktperformance veranstalten und sie auch später begleiten werden, gehören Jack Hauser, Rita Trattnigg, Thomas Haderlapp, Claudia Heu und Johanna Kirsch.

 

(3) „dream and walk about“

Das Projekt „dream and walk about“ von Barbara Kraus, das vorerst nur als Konzept existierte, wird im Verlauf des Jahres 2012 immer konkretere Formen annehmen. Ausgehend von der Auftaktperformance „about leaving“ im März wird die alpinen Live-Art-Performance „about walking“ sich stetig weiterentwickeln und sich in unterschiedlichen Stadien und Formaten öffentlich präsentieren.

„about leaving“

Gemeinsam mit ihren WegbegleiterInnen Jack Hauser, Rita Trattnigg, Thomas Haderlapp, Claudia Heu und Johanna Kirsch hat Barbara Kraus im März 2012 im nadaLokal Salons gestaltet.

Ironischerweise handelt der Auftakt auch gleich von einem Abschied, geht es doch in der ersten gemeinsamen Performance um die Sehnsucht nach dem Aufbruch. Doch es gibt keinen noch so verheißungsvollen Aufbruch, der nicht von der Wehmut des Abschieds von Vertrautem und Geliebtem überschattet wird. „about leaving“ handelt von nomadischen Lebensgefühlen, den Songlines der Aborigines, den Leylines der britischen Druiden und der Sehnsucht eines Blake, Rumi oder Roethke. Die Gruppe wird mit Rimbaud die Fußsohlen heißlaufen, mit Baudelaire dem Horror des Zuhauses entfliehen, mit einem inneren Glühen das Wanderfieber entfachen und mit Zen-Meister Dogen das Selbst gehen lassen. Woher aber kommt diese innere Unruhe, die Sehnsucht nach dem Aufbruch? The internal burning ... wandering fever ..., wie es Kaleva in den Songlines von Bruce Chatwin bezeichnet. Stammt dieses Wanderfieber vielleicht aus jener Zeit der Menschheitsgeschichte, wo wir als JägerInnen und SammlerInnen unterwegs waren, und hat sich die Erinnerung an diese
bewegte Zeit vor der Sesshaftigkeit so tief in unserem genetischen und kollektiven Körpergedächtnis verankert, dass in jeder unserer Zellen eine Expertin fürs Unterwegssein schlummert?

„about walking“

Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt, doch vor dem ersten Schritt braucht es ein Herz voller Unruhe und Sehnsucht. Die Fiebrigen zieht es in die Ferne, kaum weht ihnen der Frühlingswind um die Nase, und nicht nur dann. Sie haben wie Rimbaud den Wind unter den Füßen und für sie gibt es kein schlechtes Wetter, sondern nur ungeeignete Bekleidung ...

Gleich im Anschluss an die den offiziellen Aufbruch am 15. April im Rahmen von „scores“ in Kooperation mit dem Tanzquartier Wien, bei dem das Publikum die Möglichkeit hatte, Barbara Kraus bei der ersten Etappe ihrer in Wien beginnenden Alpenquerung zu begleiten, findet bei „about walking“ eine künstlerische Expedition in die Berge statt, wo das theoretische Wissen zum Gehen und die künstlerische Auseinandersetzung damit eine Prüfung in der Praxis finden. „about walking“ ist somit eine Live-Art-Performance, die vom Weg handelt und am Weg stattfindet. Das heißt gemeinsam mit ihren WegbegleiterInnen wird Barbara Kraus sich die Alpen erwandern und ihre prozessuales Kunstwerk immer wieder für andere Reisende und Interessierte an
ausgewählten Abenden öffentlich machen.

Das Publikum muss aber nicht gehen, nicht wandern, nicht reisen. Es kann auch von zu Hause den Weg von Barbara Kraus mitverfolgen. Ein eigens für die Reise kreiertes Logbuch nach dem Vorbild des Instituts für Alltagsforschung (www.alltagsforschung.org) soll Auskunft über Ort, Wetter und Verfassung der Reisenden und Einblick in ihre Erkenntnisse geben. Die Geschichten der Reisenden finden ihren Weg zu den Daheimgeblieben.

„about coming home“

Im Dezember 2012 wird das Projekt mit der Performance „about coming home“ die Fortsetzung und auch das vorläufige Ende des künstlerischen Gesamtprojekts „dream and walk about“ finden.

Bei dieser Arbeit über mögliche Wurzeln der Sesshaftigkeit umkreisen Barbara Kraus und ihre Weggefährtinnen die Melancholie des Heimkommens, begeben sich in die Einsamkeit des Herzens und erzählen von ihrem Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Sie nähern sich ihrer Angst vor dem Verlust von Geborgenheit und erzählen von ihrem Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Diese Performance rückt die Zerbrechlichkeit und Abhängigkeiten der menschlichen Existenz ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Heimkehrenden bringen den zu Hause gebliebenen frischen Wind und neue Geschichten über fremde Länder. Was hätte Odysseus seiner Penelope erzählen können, wäre er nie von zu Hause weggegangen? Was sich nicht erzählen lässt, ist das Geräusch des Windes, die Sehnsucht des Herzens, die Angst vor dem Abgrund, das Heulen der Wölfe, die Freundschaft mit den Steinen, das Blau des Himmels, der Geruch eines nahenden Gewitters, der Geschmack von Schnee, und weil es nicht erzählt werden kann, erzählt es sich zwischen den Zeilen, mit den Händen und Blicken und im Schweigen. Im Schweigen erzählt sich alles.

 

(4) Spezifik

Das Konzept einer performativen Forschung – wie Barbara Kraus es mit ihrem Projekt „dream and walk about“ exemplifiziert – nimmt Bezug auf Veränderungen künstlerischer Arbeitsweisen, die sich in der gegenwärtigen Kunst nicht ausschließlich auf die Herstellung von Werken, sondern in wachsendem Maße auf die performative Hervorbringung von Situationen richten. Barbara Kraus folgt auf diese Weise einem künstlerischen
Forschungsansatz, der sich durch Prozessualität, Körpergebundenheit und eine natürliche Dramaturgie auszeichnet. Bei „dream and walk about“ liegt eine weitere Besonderheit in der Verquickung von Inhalt und Form. Der Aufbruch, der Weg, die Reise ist sowohl der Inhalt, aber auch die Form des Kunstwerks, wenn beginnend mit der Auftaktveranstaltung das Werk sich kontinuierlich weiterentwickelt und sich auch immer wieder öffentlich macht. Auf diese Weise kann das Publikum bei „dream and walk about“ der Kunst nicht nur etablierten Kunstorten wie etwa dem Theatersaal beiwohnen, sondern es bei seiner Entstehung unterwegs erleben oder es von zu Hause als Lesende mitbegleiten. Das Kunstwerk schöpft seine Inspiration somit nicht nur aus dem urmenschlichen Tun, sondern eröffnet sich den ZuschauerInnen auch in ihrem Alltag.

 

(5) Biographie

Barbara Kraus lebt und arbeitet als darstellende Künstlerin in Wien. Von 1990-1994 Studium an der School for New Dance Development (Hochschule der Künste) in Amsterdam/NL. Seit 1994 im freien Fall unterwegs in Sachen Kunst, Text, Inszenierung, Film, Musik und Performance, humorvolle soziale Interventionen und partizipative Projekte. Workshops für Performance/Improvisation, Stand Up Formate und Personal/Fictional/Social Storytelling sowie ressourcenorientierte Körper/Stimmarbeit und Achtsamkeitsmeditation. Trainings/Coachings für professionelle ChoreografInnen/ PerformerInnen u.a. im Tanzquartier Wien und bei ImPulsTanz. Im Rahmen von Kulturhauptstadt Linz in Kooperation mit dem Künstler und Filmemacher Jack Hauser, zweimonatiges Performanceprojekt mit SchülerInnen in Altmünster/OÖ.

Zurzeit setzt sich Barbara Kraus intensiv mit der Prozessbegleitung von Gruppen für sozialen Wandel auseinander. Die Basis dieser Auseinandersetzung bildet u.a ihre Ausbildung zur Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation mit Deborah Bellamy (2010), das zweijährige Training für Tiefenökologie mit Gabi Bott und Norbert Gahbler (2010/2011), Transition Town Training (Einführungsworkshop Nov. 2010) sowie ihr Kontakt, Austausch und Kooperation mit dem Gemeinschaftsprojekt und Netzwerk Garten der Generationen.

Barbara Kraus zeigte ihre Arbeiten u.a. an den folgenden Orten: Kaaitheater/Brüssel, ImPulsTanz/Wien, Westend05/Leipzig, Flying Circus/Singapur, Baltoscandalfestival/Rakvere, Panaceafestival/Stockholm, Go Drag Festival/Berlin, Lissabon, Zürich, Beograd, Budapest, Ljubljana, Bukarest, Albanien, Basel, Bern, Bremen, Genf, Lausanne, Köln.